PeerBlöd – scheitern auf sozialdemokratisch – Zum PeerBlog

Das Scheitern von PeerBlog.de ist kein Zufall. Es ist die Konsequenz eines blinden Flecks in der Wahrnehmung von Kandidat, Beraterumfeld, PR-Agentur. Gut, dass Doppelmoral 2.0 nicht funktioniert.

DPeerBlog - Google Vorschaubildas PeerBlog ist nach einer Woche vom Netz. Schade, man hätte der deutschen Politik durchaus frischen Wind und der Beraterklasse mehr Kompetenz gewünscht.

Wie – mit Verlaub – dämlich kann man eigentlich sein, a) als Kanzlerkandidat b) als Kandidatensprecher und c) als PR-Agentur, die Geld- und Auftraggeber hinter peerblog.de verheimlichen zu wollen?  Als hätten nicht Kohls anonym gebliebene Parteispender (Stichwort: Schwarzgeldaffäre) schon einen Kanzler zu Fall und Angela Merkel an die Macht gebracht. Als hätte es nie wikileaks gegeben, als wären in Stuttgart unterirdische Planungen einfach hingenommen worden.

Als wäre nicht endlich mit Transparenz ein alter demokratischer, emanzipatorischer Wert dank Internet einforderbar und gesellschaftlich relevant geworden.

Was viele in der Politik, aber offenbar selbst auf Berater- und Agenturebene noch nicht erkennen, ist dass über das Internet gerade weitreichende Veränderungen im Werte-System abseits gewohnter politischer Verfahren und Debatten geschehen. Das Web 2.0 und die sozialen Medien erlauben und fördern die partizipatorische Debatte und Verabredung über Werte, die Legitimitäten neu definieren kann.

Das Internet ist damit nicht nur kein rechtsfreier Raum, sondern gerade der Raum, in dem sich heute Legitimität neu definieren kann und beweisen muss.

Wo Legitimität und Recht sich widersprechen, stellt sich schon immer die Machtfrage, erhebt sich Protest und wird Veränderungsdruck erzeugt. Die Partizipation der Bürger, auch der Hacker, sollte von der Politik endlich einmal als positives Signal der gesellschaftlichen Entwicklung erkannt und das Netz nicht hauptsächlich als „rechtsfreier Raum“, als Bedrohung, als Spielwiese hedonistischer Egoisten, Nerds und anderen zwielichtigen Gestalten verleumdet werden. Das latente Stänkern gegen das Internet ist unehrlich, denn gleichzeitig wird das Internet für manipulatorische Versuche wie eben peerblog.de gerne genutzt. Diese Doppelmoral erinnert ganz an muffige Zeiten, als der Protest noch auf die Straße, das Schlafzimmer, die Kunst angewiesen war:

Wenn einer mal Gitarre spielte, kam sofort der Polizeiknüppel … Sie machten sich doch damals praktisch schon strafbar, wenn Sie Geschlechtsverkehr hatten, ohne verheiratet zu sein. Wenn Hildegard Knef eine halbe Brust heraushängen ließ, wurde die Aktion „Saubere Leinwand“ aktiv.“ (Aus Wikipedia über die 68-er Bewegung, Filmplakat „Die Sünderin„)

Das Scheitern mit dem PeerBlog im aktuellen Umfeld ist kein Zufall. Es ist die Konsequenz einer gemeinsamen blinden Stelle in der vorwiegend rückwärtsgewandten Wahrnehmung von Kandidat, Beraterumfeld, PR-Agentur und wahrscheinlich vieler in der SPD. Doppelmoral oder Spießertum 2.0 – aber das funktioniert nicht.

Was ist nun der blinde Fleck? Peer Steinbrück schreibt auf seiner Website in der Rubrik „Warum ich Kanzler werden will„:

„Es ist das zentrale Thema unserer Zeit, dass selbst Bürger, die sich früher sicher glaubten, mit einem guten Job, einer guten Ausbildung und etwas auf der hohen Kante, heute verunsichert sind.“

Im nächsten Satz verrät er gleich die Schuldigen:

„Aufgrund der Turbulenzen auf den Finanzmärkten kann auf einen Schlag alle Sicherheit weg sein.“

Was Steinbrück und sein Beraterteam nicht erkennen: Die Verunsicherung betrifft nicht nur den gesetzten Mittelstand und geht zu guten Teilen von ganz anderen Ursachen aus. Es geht nicht nur um das Versagen von Finanzmärkten oder deren politischer Kontrolle. Der Kandidat macht es sich damit einfach zu leicht, und mit ihm die alte Tante SPD, der dazu insgesamt wenig auf- und einfällt.

Jeder individuell, jede Organisation, jedes Unternehmen spürt den Veränderungsdruck und sucht nach Ursachen, aber diese lassen sich in der Regel nur schwer fassen. Ich möchte deshalb ein sehr schönes Zitat der Philosophin, Sozialpsychologin,  Ökonomin Shoshana Zuboff (eine der ersten weiblichen Dozentinnen an der Harvard Business School, Porträt auf Wikipedia, leider nur englisch) anbringen, das Wahrnehmungen beschreibt, die bei Steinbrück und Co. dem blinden Fleck zum Opfer fallen:

… unsere institutionellen Vereinbarungen müssen komplett neu gedacht werden: die Privatsphäre, das Recht, die gesellschaftliche Verantwortung, auch Dinge wie unsere eigene Transparenz (Bem.: u.a. gemeint hier: subtile Überwachungsstrukturen).

Es ist unsere Last und unser Segen …, dass wir aus dem vertrauten Umfeld vertrieben wurden  und auf die Frage nach unserer Identität nicht länger antworten können: Ich bin meines Vaters Sohn, ich bin meiner Mutter Tochter. Jeder von uns trägt die Last, eine eigene Antwort zu finden. Wir müssen uns allein erarbeiten, wer wir sind. So weit die Last. Der Segen besteht darin, dass jeder sich als einzigartig versteht und deshalb einen legitimen Anspruch auf Respekt vor seiner Einzigartigkeit hat.

Ging es früher um Religion, freie Meinungsäußerung und Wahlrecht, wird nun in jedem Bereich unseres Lebens Anspruch auf Rechte erhoben. Von Geschlecht und Sexualität bis zu physischen Fähigkeiten und zum Alter ist kein persönlicher Bereich von diesen Ansprüchen ausgenommen. lch betrachte das als Aufblühen, als fast unbegreiflich positives Signal von Menschlichkeit. Wir halten uns für wert, in Würde zu leben. (Das Zitat stammt aus dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 10.2.13 unter dem Titel „Das System versagt“)

So kann man gesellschaftliche Veränderungen und Umbrüche auch analysieren, und daraus Politik ableiten. Dazu müsste man die Veränderung (also auch die Wähler!) aber erst einmal ernst und wahr nehmen, und nicht aus dem Tunnelblick heraus schnell mal die Kavallerie gen Finanzmarkt mobilisieren.

Oder, wie im Fall des PeerBlog, „schnell mal“ einen Kanal einzurichten, der mangels Transparenz den berechtigen, Medienkompetenz ausdrückenden Vorbehalt eines Propagandamediums hervorruft. Peer Steinbrück kann sich bei den Hackern bedanken, die schnell und unmißverständlich reagiert haben.

Das Unvermögen der Politik, aktuelle Probleme in ihrer Vielschichtigkeit unideologisch wahrzunehmen, ist ein weiterer Punkt, den das PeerBlog, aber auch die Wahlkampfstrategie Steinbrücks, belegt. Und das ist ein weiterer Grund für die Verunsicherung – die etablierte Politik scheint kaum in der Lage, richtig zu verstehen, was vor sich geht, und entsprechend zu reagieren.

Denn leider kann man sich bislang nicht damit trösten, dass es andere Parteien viel besser machten.

der Freitag - Das MeinungsmediumDieser Artikel kann auch nachgelesen werden auf freitag.de:
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